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Begriffsdefinitionen
Unterschieden wird bei den Liquorunterdruck-Syndromen zwischen folgenden Formen
- Postpunktionelles Syndrom PPS („post-dural puncture headache“): Lageabhängige Kopfschmerzen, welche innerhalb von fünf Tagen nach einer duralen Punktion auftreten
- Spontane intrakranielle Hypotension SIH (idiopathisches spontanes Liquorleck): Lageabhängige Kopfschmerzen, welche durch einen spontanen intrakraniellen Unterdruck bedingt sind und sich nach Normalisierung des intrakranialen Druckes zurückbilden
Epidemiologie
- Ein Liquorleck nach Durapunktion (Lumbalpunktion, Spinalanästhesie) tritt heutzutage dank dünneren und atraumatischeren Kanülen noch in 5-10% aller Patienten auf
- Die Symptome treten meist innerhalb von 24 bis 72 Stunden nach der Punktion auf (bis 80% der Betroffenen innerhalb von 48 Stunden und bis 90% der Betroffenen innerhalb von 72 Stunden)
- Eine akzidentelle Duraperforation bei Periduralanästhesie in der Geburtshilfe tritt in bis zu 3.6% der Fälle auf
- Dabei beträgt das Risiko für die Entwicklung eines postpunktionellen Kopfschmerzes aufgrund der grosslumigen Kanüle 75-100%
Riskofaktoren
- Kanülendurchmesser
- Form der Kanülenspitze (günstig z.B. atraumatische Spinalkanülen nach Sprotte mit konisch abgerundeter Spitze und seitlicher Öffnung; Whitacre-Nadel)
- Orientierung des Kanülenschliffs bei traumatischen Nadeln (günstig: parallel zu den Durafasern, Auseinanderdrängen/ nicht Durchtrennen der longitudinalen Durafasern)
- Wiedereinführen des Mandrins nach Liquorentnahme, um dann beides (Mandrin&Kanüle) zu entfernen soll das Risiko senken
- Anzahl der Punktionen
- Die Menge des entnommenen Liquors (bis 25ml) spielt dabei keine Rolle
Prädisponierende Faktoren
- Lebensalter: höchste Inzidenz im Alter von 18-30 Jahren
- Weibliches Geschlecht
- Niedriger Body-Mass-Index
- Bereits vorbestehender, rezidivierender oder chronischer Kopfschmerz
- Status nach PPS
Therapien
- Das PPS sollte entsprechend seinem Schweregrad behandelt werden
- Dabei sind folgende Therapien wirksam: Flachlagerung, Gabe von Koffein in zweiter Linie auch Gabapentin, Theophyllin und Hydrokortison
- Interventionell bieten sich die epidurale Eigenblutgabe sowie der neurochirurgische Verschluss an
- Unwirksam sind die prophylaktische Bettruhe nach Punktionen sowie die prophylaktische Gabe von Infusionen und Kortikosteroiden
Konservativ
Körperlage
- Leicht (Symptome >30min nach Aufstehen): Volle Mobilisation
- Mittel (Symptome <30min nach Aufstehen): Mehrfach tägliche Mobilisation zum Kreislauftraining und Thromboseprophylaxe
- Schwer (Symptombeginn Sekunden bis Minuten nach Aufstehen): Mehrfach tägliches Aufsetzen, Gabe einer Thromboseprophylaxe
Medikamentös
- Analgetisch: Paracetamol, Metamizol, NSAR (cave: Kontraindikationen)
- Koffein: Coffeincitrat Trinklösung 20mg/ml, 800-1000mg/Tag verteilt auf drei bis vier Einzeldosen
Invasiv
Epiduraler Blutpatch
- Bei starken und länger dauernden Beschwerden (>2d starker Kopfschmerz oder >4d Kopfschmerz ohne Tendenz zur Besserung) ist ein epiduraler Blutpatch indiziert
- Dieser führt zu einer deutlichen Besserung oder kompletten Beschwerdefreiheit in 80-96% der Betroffenen
Operative Behandlung
- Nur wenn die konservativen Massnahmen erfolglos waren, kann das Liquorleck neurochirurgisch versorgt werden (Naht, Clip und/oder Fibrinkleber)
Durchführung
Material
- Standard-Set Epiduralanästhesie LUKS, Desinfektionsset inkl. Lochtuch Anästhesie
- Desinfektionsmittel
- Sterile Handschuhe, steriler Kittel
- Kopfbedeckung, Mundschutz
- Venenpunktionskanüle mit 2x10ml Spritzen (inkl. Aufsatz), Stauschlauch
Vorgehen
- Anschluss des Basismonitorings (EKG, NIBP, Pulsoxymetrie)
- Legen eines peripher-venösen Zugangs und Anschluss einer Infusion
- Lagerung des Patienten in Linkseitenlage oder sitzend
- Anästhesist führt die Punktion des Epiduralraumes durch (gemäss SOP Periduralkatheter)
- Zwischenzeitlich bereitet ein 2. Anästhesist eine zweite, sterile Venenpunktion cubital vor
- Sobald der Epiduralraum aufgefunden wurde, erfolgt die sterile Entnahme von 20ml Vollblut
- Sterile Übergabe des Blutes vom 2. an den 1. Anästhesisten
- Applikation des Blutes durch den 1. Anästhesisten, bis der Patient ein Druckgefühl im Rücken angibt (aber maximal 20ml)
- Entfernung der Tuohy-Nadel und sterile Abdeckung des Punktionsortes mittels Pflaster
Literatur
- Radke, K., Radke, O. Postpunktioneller Kopfschmerz. Anaesthesist 62, 149–161 (2013)
- Patel, R., Urits, I., Orhurhu, V. et al. A Comprehensive Update on the Treatment and Management of Postdural Puncture Headache. Curr Pain Headache Rep 24, 24 (2020)
- Pagani-Estevez GL, Cutsforth-Gregory JK, Morris JM, et al. Reg Anesth Pain Med 2019;44:212–44:2
- Dieterich M. et al., Diagnostik und Therapie des postpunktionellen und spontanen Liquorunterdruck-Syndroms, S1-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie